Schwein gehabt!
Als kleines Kind auf dem Bauernhof meiner Eltern war für mich das zweimal jährliche Schlachten etwas ganz Normales. Meine Mutter hat mich und meinen Bruder, als wir noch kleine Knirpse waren, auf einen Schemel ans Fenster gestellt, und wir »durften« zuschauen, wie der Metzger das Messer wetzte, ehe er sich ans Werk machte. Später, im Teenageralter, waren mir die Schlachttage ein Graus, und ich begann, mir über das Fleischessen Gedanken zu machen. Meiner Mutter erging es ebenso: Am Vorabend sagte sie, ach, wenn‘s nur schon vorbei wär! Aber was blieb einem anderes übrig. Meine Eltern hatten einen kleinen Schwarzwaldbauernhof, und die Familie versorgte sich mit dem, was Stall und Gemüsegarten hergaben.
Die auf diese Weise geschlachteten Tiere (jeweils ein Hausschwein und ein Jungrind) hatten im Vergeich zu ihren heutigen Artgenossen noch Glück. Man brachte ihnen Respekt entgegen, und das Schlachten hatte beinahe etwas von einem Opferritual. In der Tat habe ich gehört, dass früher in manchen katholischen Gegenden der Pfarrer die zu schlachtenden Tiere segnete (gewiss kam er auch aus anderen Gründen gern zum Schlachtfest …) Töten und Fleischessen standen damals noch in unmittelbarem Zusammenhang. Heutzutage dürfte vielen indes gar nicht mehr bewusst sein, dass es sich bei dem Schnitzel auf ihrem Teller um ein Stück totes Tier handelt. Für Kinder gibt es Lyoner mit Smiley: Als hätte die Sau es nicht erwarten können, geschlachtet zu werden und in einem Kindermagen zu landen! Die Entkoppelung von Tierhaltung/Tötung und Fleischkonsum ist der Sündenfall der industriellen Landwirtschaft. (Nicht dass früher in den Ställen alles in Ordnung gewesen wäre …)
Die Tiere, die heute zu den Schlachthöfen gekarrt werden, sind wahrlich arme Schweine. Auf dem Schwarzwaldbauernhof meiner Eltern betrug der Transportweg vom Stall zum Schlachtplatz allenfalls zehn Meter, der von Ersteren führt nicht selten quer durch Europa. Ganz zu schweigen von dem Stress, der sie auf den Schlachthöfen erwartet. Und dann können sie von Glück sagen, wenn sie gar nicht oder nur unzulänglich betäubt (weil der Akkordarbeiter/Billiglöhner aus dem Osten das Bolzenschussgerät unter dem enormen Zeitdruck nicht richtig angesetzt hat) bei lebendigem Leib ins kochende Wasser geworfen (Schwein) oder an einem Bein zur weiteren Verarbeitung aufgehängt werden (Rind).
Mittlerweile haben ein paar wenige Landwirte ein Einsehen mit der Kreatur und sind dazu übergegangen, ihre Rinder von einem Hochstand auf der Weide zu erschießen. Wahrscheinlich die humanste/tiergerechteste Tötung von Nutzvieh. Die anderen Tiere der Herde heben nur kurz den Kopf, wenn der getroffene Kumpel zu Boden geht, um dann friedlich weiterzugrasen. Aber auch der beste Schütze schießt mal daneben … Für mich ist die Frage nach der Haltung und Tötung von Nutztieren nicht vom Fleischkonsum zu trennen. In den letzten Jahren habe ich ganz auf Fleisch aus industrieller Landwirtschaft verzichtet und nur hin und wieder ein teures Stück vom Herrmannsdorffer (dem Vorzeige-Biobetrieb im Münchner Umland) gekauft. Inzwischen weiß man jedoch, dass es auch dort nicht ganz ohne tierische Blessuren abgeht.
Der Kasseler Agrarwissenschaftler Albert Sundrum hat etliche sogenannte Biobauernhöfe in Deutschland und einigen anderen EU-Ländern besucht (nachzulesen in der Zeit vom 12.10.16). Sein Fazit: Die Tiere auf Biobauernhöfen sind »trotz besserer Haltungsstandards« fast genau so häufig krank wie ihre Artgenossen in konventionellen Betrieben. Will heißen, dass Tierquälerei – in Form mangelnder Zuwendung und Sorgfalt aufgrund von Profitdruck –, obwohl in der EU verboten, in vielen konventionellen wie auch Biobetrieben an der Tagesordnung ist. Ergo bleibt dem problembewussten Fleischesser nur eines: sein Schnitzel direkt beim Erzeuger seines Vertrauens zu kaufen und tief in die Tasche zu greifen oder – um auf der sicheren Seite zu sein – Veganer zu werden. Die meisten ziehen es indes vor, das Problem zu verdrängen, und freuen sich über die billigen Fleisch- und Wurstpreise hierzulande. Geiz ist in diesem Fall Tierquälerei.
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